Parlamentarischer Apéro im Restaurant Ursprung

Der Ernährungsrat Berlin lud gemeinsam mit dem Ernährungsrat Brandenburg Abgeordnete des Bundes und der Länder Berlin und Brandenburg zu einem Parlamentarischen Apéro ins Restaurant Ursprung ein, um über Folgekosten einer verfehlten Ernährungspolitik zu diskutieren.

Rund 300 Milliarden Euro pro Jahr – so hoch sind die versteckten Kosten des Ernährungssystems laut einem Bericht der FAO allein für Deutschland. Der größte Teil davon sind Gesundheitskosten durch Fehlernährung, daneben Umweltkosten aus der Produktion von Fleisch, Milch und Eiern. Beim Apéro im Restaurant Ursprung (Dussmann) am 12. Dezember 2023 haben wir diese Themen auf den Tisch gebracht und Handlungsoptionen diskutiert. Dazu gab es ein geschmacklich überzeugendes, pflanzenbasiertes Menü, das eindrucksvoll demonstrierte, wie lecker Essen ohne Fleisch sein kann.

Salat Nicoise

Der erste Gang – Salat Nicoise mit Betta-Fish Tu-Nah – kam schon als Leckerbissen mit einer Thunfisch-Alternative aus Meeresalgen und pflanzlichen Proteinen daher, die sich geschmacklich hinter echtem Thunfisch keineswegs verstecken muss. Als Gastgeber erläuterte Stefan Grill vom Dussmann Food Service Innovation Lab zunächst, warum sich ihre Speisekarte an der Planetary Health Diet orientiert und warum es trotzdem um Genuss geht: „Es geht nicht um Verzicht, es geht um Vielfalt!“

Quesadilla Futuro

Zur knackigen Mais-Tortilla mit Bohnenmus, Tomaten-Mayonnaise und Apfel-Salsa fütterte uns Prof. Dr. Matthias Pirlich, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V. (DGEM) mit eindrücklichen Zahlen zur klinischen und ökonomischen Bedeutung von krankheitsbedingter Mangelernährung.

Bis zu 30% aller Menschen, die im Krankenhaus stationär behandelt werden müssen, kommen mit krankheitsbedingter Mangelernährung in die Klinik. Mangelernährung verschlechtert die Prognose signifikant, die Dauer der stationären Behandlung steigt um über 50% und die Sterblichkeit steigt sogar um das mehr als Dreifache. Der größere Behandlungsaufwand im Krankenhaus allein führt zu vier bis sieben Milliarden Euro Mehrkosten. Behandelt man die Mangelernährung mit einer individuell angepassten Ernährungstherapie (ausreichende Energie- und Eiweißzufuhr in Kombination mit guter Ernährungsberatung), kann man die ungeplante Wiederaufnahme ins Krankenhaus um 18 % und die Sterblichkeit sogar um 30 % senken. Durch eine Ernährungstherapie lassen sich die Gesamtbehandlungskosten um 2.800 Euro pro Behandlungsfall reduzieren.

Systematisches Ernährungsmanagement ist aber in deutschen Kliniken die Ausnahme, ernährungsmedizinische Maßnahmen werden derzeit im DRG-Abrechnungssystem nicht bezahlt. Deshalb fordert ein breites Bündnis aus 25 medizinischen Fachgesellschaften, die mehr als 120.000 Ärztinnen und Ärzte repräsentieren, von der Politik, die Krankenhausreform für eine bessere ernährungsmedizinische Versorgung von Klinikpatient*innen zu nutzen – z.B. durch die gesetzliche Verankerung und Vergütung von Ernährungstherapie.

Austernpilzcreme

Zur vegetarischen Austernpilzcreme mit reduziertem Himbeeressig erläuterte Aaron Scheid, wissenschaftlicher Mitarbeiter vom Ecologic Institute, wie eine bessere Verteilung der Umweltkosten aus der Produktion von Milch, Eiern und Fleisch gelingen kann.

Laut Lebenszyklusanalysen belaufen sich die externen Umweltkosten bei der Produktion und dem Konsum von tierischen Lebensmitteln auf mindestens 22 Milliarden Euro pro Jahr. Den größten Anteil und gleichzeitig das größte Senkenpotenzial haben die Treibhausgasemissionen. Aber die Landwirtschaft – v.a. die Tierhaltung – ist auch der Hauptemittent des Luftschadstoffs Ammoniak in Deutschland.

Gegensteuern ließe sich z.B. durch eine mengenbezogene Verbrauchssteuer, durch die geschätzt bis zu 5,9 Milliarden Euro an Folgekosten gespart werden könnten. Auch eine Mehrwertsteuerreform mit Anwendung des Normalsteuersatzes (19%) auf tierische Lebensmittel hat ein Einsparungspotential für Folgekosten von 1,2 Millionen Euro pro Jahr. Trotz geringerem Verbrauch käme es dadurch zu Mehreinnahmen von 5,7 bis 16 Milliarden Euro pro Jahr – die wiederum für den Umbau der Nutztierhaltung und die Senkung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse eingesetzt werden könnten.

Königsberger Klopse 2.0

Im Anschluss zeigten die Königsberger Klopse 2.0 aus Redefine Meat mit Bete und Kartoffelpüree, dass für Klopse kein Tier sterben muß, damit sie hervorragend schmecken. Dabei ließ sich vortrefflich darüber diskutieren, wie die vorgestellten Handlungsmöglichkeiten und Forderungen in die Realität umsetzbar sein könnten. Dabei wurde einerseits argumentiert, dass politisches Handeln immer kompromissbehaftet ist, solange die Mehrheitsverhältnisse zu Koalitionen unter Parteien mit verschiedenen Schwerpunkten führen. Und dass die Lösungsvorschläge der Referent*innen Folgefragen aufwürfen, die ebenfalls geklärt werden müssten: Z.B. dass die Mehrwertsteuer zur Hälfte an die Länder ginge und die potenziellen Mehreinnahmen einer Fleischsteuer nicht automatisch für den Umbau des Ernährungssystems eingesetzt würden.

Andererseits wurde argumentiert, dass Zivilgesellschaft allein die notwendigen Veränderungen nicht erkämpfen kann, sondern dabei auf politische Unterstützung angewiesen ist. Und dass z.B. kleine, nachhaltige wirtschaftende Landwirt*innen dringend verbesserte Rahmenbedingungen benötigen, um weiter bestehen zu können.

Offen blieb, wie Politik und Zivilgesellschaft am besten an einem Strang ziehen, um die notwendigen Veränderungen gemeinsam zu erkämpfen.

SchokoladenTörtchen

Zum Abschluss gab es leckere Schokoladen-Törtchen mit Kompott und Amaranth, dazu präsentierten der Ernährungsrat Brandenburg gemeinsam mit dem Ernährungsrat Berlin Forderungen an die Politik. Dabei wiesen sie insbesondere darauf hin, dass Essen keine private Entscheidung ist, sondern Folge von materiellen Möglichkeiten, Ernährungsumgebungen und Bildung. Kinder aus ärmeren Familien sind viermal so häufig fettleibig wie Kinder aus wohlhabenderen Familien. Mangelernährung hat Einfluss auf die körperliche und geistige Entwicklung. Deshalb verstärken sich Mangelernährung und Armut oft gegenseitig. Das zu ändern ist eine politische und gesellschaftliche Aufgabe.

Unsere Forderungen konkret:

Ein Video-Eindruck

Fotos: Hamza Qabbani; Video: Christine Pohl

Parlamentarischer Apéro: Was kostet eine verfehlte Ernährungspolitik?
Markiert in: