Das Jahr 2019 hat ernährungspolitisch schon so einiges mit sich gebracht! Hier sind unsere Neuigkeiten:
Ernährungsstrategie – wo bleibt die Ernährungsdemokratie?
Die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung hatte für den 20. Februar eingeladen, um über „den fortlaufenden Prozess der Entwicklung der Berliner Ernährungsstrategie“ zu informieren und erste Ergebnisse vorzustellen. Anlässlich der Veranstaltung haben wir zwei Tage zuvor einen Offenen Brief an Senator Behrendt und Staatssekretärin Gottstein geschickt. Darin fordern wir größere Transparenz im Prozess als bisher und die umfassende Partizipation der Berliner*innen. Ebenso wie die langfristig finanzierte und strukturell besser durchdachte Implementierung eines Beratungszentrums für die zukunftsfähige Umstellung der kommunalen Gemeinschaftsverpflegung, das bisher als „House of Food“ oder „Haus des guten Essens“ in den Senatsplänen genannt wird. Außerdem schlagen wir die Gründung einer strategischen Steuerungsgruppe vor, die den Prozess der Ernährungswende systematisch auf allen Ebenen – nicht nur im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung – vorantreibt und der deshalb auch der Ernährungsrat angehören soll.
Auf der Veranstaltung der Ernährungsstrategie wurden zwar einige Projekte insbesondere im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung vorgestellt und mittlerweile kann man auch die im Beteiligungsprozess 2018 entstandenen Empfehlungen für die Ernährungsstrategie auf der Webseite des Senats finden. Ernstzunehmende Beteiligungschancen für die Öffentlichkeit, die den Maßnahmenkatalog nicht nur vorstellen, sondern die Debatte eröffnen und seine Weiterentwicklung in einen wahrhaft „ernährungsdemokratischen“ öffentlichen Diskurs überführen könnten, fehlen aber auch hier.
Noch lässt der Prozess der Ernährungsstrategieentwicklung also Wünsche offen – denn ein Ziel wie Ernährungsdemokratie lässt sich nach unserer Auffassung nur durch einen durchgehend transparent und partizipativ angelegten Prozess erreichen. Darüber werden wir nicht nur mit der Senatsverwaltung im Gespräch bleiben, sondern auch mit anderen Parteien und den Medien in Berlin und in Brandenburg! Eine Antwort des Senators auf unseren offenen Brief, die ihrerseits ein Beitrag zu mehr Transparenz, Öffentlichkeitsbeteiligung und Ernährungsdemokratie sein sollte, hat uns bisher noch nicht erreicht – aber wir bleiben dran.
Wir fangen dann schon mal an das Berliner Ernährungssystem umzukrempeln – macht ihr mit?
Ein Kleinbus bringt Kantinenbetreiber zu Brandenburger Biobetrieben, wo sie einen Eindruck von der Arbeitsrealität auf den Höfen bekommen und Kontakte zu Erzeugern knüpfen. Bei einer Podiumsdiskussion erörtern Bäuerinnen, Händler und Wissenschaftlerinnen mit der Öffentlichkeit die Herausforderungen von regionalen Wertschöpfungssystemen. In einem interkulturellen Workshop werden migrantische Perspektiven auf das Berliner Ernährungssystem aufgespürt.
So oder ähnlich sehen Aktivitäten aus, die der Ernährungsrat in den nächsten Monaten plant. Wollt ihr mitmachen? Dann kommt kurzentschlossen noch heute Abend (Montag 4. März 18-20 Uhr) ins IÖW-Lab (Potsdamer Str. 105, im zweiten Tordurchgang) zu unserer Projekt- und Kampagnenwerkstatt dazu. Zu spontan, aber ihr seid interessiert? Dann sagt uns trotzdem Bescheid (kontakt@ernaehrungsrat-berlin.de) oder schaut auf unsere Webseite, denn solche Treffen wollen wir demnächst öfter veranstalten!
Wenn ihr lieber strategisch denken und die politische Positionierung des Ernährungsrats im weiteren Entwicklungsprozess der Ernährungsstrategie vorantreiben wollt, dann kommt zu unseren Strategiewerkstätten. Die nächste ist für Mitte April geplant, der genaue Termin wird bald auf unserer Webseite bekanntgegeben.
Ebenfalls um die Ernährungsstrategie und unsere Projekte und sonstigen Aktivitäten wird es natürlich auf der Frühjahrs-Vollversammlung des Ernährungsrats gehen. Diese findet am 8. Mai von 17:30-20:30 in der Alten Zollgarage des Tempelhofer Flughafengebäudes statt – merkt euch den Termin schon mal vor! Genauere Infos zur Agenda finden sich dann demnächst hier.
Kostenloses, gutes Essen für alle Kita- und Schulkinder!
Bis zur Klasse 6 soll Schulessen in Berlin bald kostenlos sein – das finden wir richtig. Schon in unserem Forderungskatalog vom Oktober 2017 erläutern wir, dass kostenloses, qualitätvolles Essen für alle Kinder in Berliner Kitas und Schulen eine Voraussetzung ist, um allen Kindern den Genuss guten Essens zu ermöglichen. Die Krux an der Sache ist jedoch: In den jüngsten Beschlüssen spielt Qualität keine Rolle. Dass das Essen an Kitas und Schulen zukünftig also nachhaltig und fair produziert, ausgewogen und obendrein lecker und appetitlich angerichtet ist, muss leider stark bezweifelt werden. Das ruft laut nach Nachbesserung! Ein erster Ansatz dazu kann z.B. die Petition der Christlichen Initiative Romero für Faires Schulessen in Berlin sein.
Ernährungspolitik ist nicht nur Regionalthema
Das wissen wir natürlich alle! Deswegen haben wir gemeinsam mit 35.000 engagierten Menschen am 19. Januar bei der Wir haben es satt-Demo eine faire Agrarreform und eine klimagerechte Landwirtschaft gefordert. Mit dabei: die Ernährungsräte aus Berlin, Köln, Bonn, Frankfurt am Main, Oldenburg, München, Hamburg und Hannover. Hier gibt’s noch ein paar Eindrücke von der gesamten Demo und die inspirierende Rede unserer Sprecherin Lea Kliem bei der Auftaktkundgebung!
Wir haben uns außerdem dem Positionspapier „Agrarökologie stärken. Für eine grundlegende Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme“ angeschlossen und fordern gemeinsam mit 55 weiteren zivilgesellschaftliche Organisationen die Bundesregierung auf, Agrarökologie zum zentralen Förderkonzept zur Armutsbekämpfung und zur Anpassung an die Klimakrise zu machen und sie als Grundlage für eine Reform der EU-Agrarpolitik zu nutzen.
Der Weg zu einer gemeinsamen EU Ernährungspolitik
Dass eine politische Ernährungswende dringend nötig ist, sehen natürlich nicht nur wir. In Brüssel wurde jetzt ein aktueller Bericht veröffentlicht, der als Gegenentwurf zur gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) eine grundlegende Reform hin zu einer gemeinsamen Ernährungspolitik vorschlägt: „Towards a Common Food Policy for the European Union: The Policy Reform and Realignment that ist required to buld sustainable Food Systems in Europe“
Denn bislang gibt die Europäische Agrarpolitik keine Antworten auf die Frage, wie die großen Herausforderungen des Klima-, Umwelt- und Tierschutzes oder des weit verbreiteten Höfesterbens. Dabei wären die politischen Einflussmöglichkeiten enorm, denn rund 40 Prozent des EU-Haushaltes gehen in die Agrarsubventionen.
Vorgelegt wurde der Bericht von IPES-Food, einem Experten-Panel, das sich unter der Leitung von Olivier de Schutter (UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, 2008-1014) für nachhaltige Ernährungssysteme einsetzt. In einem dreijährigen Prozess haben sie unter Einbezug von Experten und Akteuren aus ganz Europa in verschiedenen Workshops und Konferenzen den Entwurf für eine gemeinsame Europäische Ernährungspolitik entworfen. Auf dem Blog Speiseräume fasst Philipp Stierand die wesentlichen Thesen des Berichts zusammen. Auch Ernährungsräte werden in dem Bericht als zentraler Akteur für eine zukunftsfähige Ernährungspolitik genannt. Und es wird eine systematische institutionelle Förderung für diese neuen zivilgesellschaftlichen Initiativen aus EU-Töpfen gefordert!
Mediterranen Esskulturen in die Töpfe geschaut
Bei den ganzen politischen Aktivitäten haben wir das Kulinarische nicht vergessen! Auf der Internationalen Grünen Woche haben wir gemeinsam mit der türkischen Umweltorganisation Yeşil Çember (Türkisch für „Grüner Kreis“) eine türkische Kochshow veranstaltet. Damit wollten wir deutlich machen, dass der Ernährungsrat Berlin für ein vielfältiges und sozial gerechtes Ernährungssystem eintritt, das allen Bürger*innen Zugang zu gutem und kulturell angepasstem Essen ermöglicht – unabhängig von Einkommen, kulturellem Hintergrund, Bildung, Geschlecht oder Herkunft. In Berlin leben etwa 200.000 türkischstämmige Bürger*innen: ihre Mitsprache darf bei der Entwicklung eines zukunftsfähigen Ernährungssystems nicht fehlen. Mehr Info zu der Kochshow, Fotos und Rezepte finden sich hier.
Danke für die Unterstützung!
Im Dezember haben wir Euch alle darum gebeten, uns aus der Finanzpatsche zu helfen. Wir bedanken uns herzlich bei allen, die diesem Aufruf spontan nachgekommen sind! Durch Eure Unterstützung und eine Projektmittelzusage haben wir jetzt erstmal genug Mittel, um unsere Geschäftsstelle weiterbetreiben zu können – allerdings nur bis August 2019. Wir wollen und müssen unsere Finanzierung auf stabilere Füße stellen, um nicht alle paar Monate wieder um unsere Existenz fürchten zu müssen. Deshalb freuen wir uns auch weiterhin über Spenden an den Ernährungsrat Berlin e.V., Konto: DE35 4306 0967 1225 3232 00, GENODEM1GLS (Verwendungszweck: „Überlebensmittel“). Da wir als gemeinnützig anerkannt sind, dürfen wir auch Spendenbescheinigungen ausstellen. Wer (bei Beträgen über 100 €) eine solche benötigt, schreibt uns dies mit Adresseangabe und unter dem gleichen Stichwort bitte an kontakt@ernaehrungsrat-berlin.de.