Förderung des institutionellen Lernens
Im Rahmen des FoodSHIFT2030-Projekts unterstützt das Berlin Lab das institutionelle Lernen innerhalb der Verwaltung, denn komplexen Herausforderungen wie der Ernährungswende kann nur mit integrierten Ansätzen begegnet werden. Um institutionelles Lernen zu fördern, veranstaltet das Berlin Lab eine dreiteilige Workshopreihe.
Workshop 1: Systemische Lösungen für die Ernährungswende – Möglichkeitsräume in der Verwaltung finden
Systemdenken ist einer der integrierten Ansätze ieser Ansätze. In einem System gibt es mehrere Akteure, deren Handlungen sich direkt und/oder indirekt gegenseitig beeinflussen. Systemdenken bedeutet:
- eine Strategie zu formulieren und nach ihr zu handeln;
- verschiedene Akteure einzubinden und sich miteinander abzustimmen;
- Gesundheits-, Umwelt- und Gerechtigkeitsbelange mit wirtschaftlichem Erfolg zu verbinden.
Da für die (zukünftige) Umsetzung der Ernährungswende die Verwaltung sehr wichtig ist, luden Beatrice Walthall (ZALF) und Lisa Haarhoff (Ernährungsrat Berlin) Ende Juni 2021 zum Workshop „Systemische Lösungen für die Ernährungswende: Möglichkeitsräume in der Verwaltung finden“ Mitarbeiter*innen aus Bezirks- und Senatsverwaltungen ein. Die Teilnehmer*innen erarbeiteten sich Wege, wie Hemmschwellen in der Verwaltung bzgl der Ernährungswende im Alltag überwunden werden können.
Ein ausdrücklicher Wunsch der Teilnehmer*innen war, den Druck auf Politik aufrecht zu erhalten, damit die Ernährungswende als Querschnittsthema in der Verwaltungsstruktur Berücksichtigung findet. Das Selbstverständnis einer Verwaltung muss sich ebenfalls ändern: Nicht nur Verwaltungsleitung sollte hinter den Zielen stehen, wichtig sind auch die dazwischenliegenden Hierarchiestufen – die müssen ebenfalls mitziehen und für neue Ideen offen sein.
Das Interesse am Workshop zeigt, dass sich einige Pioniere aus der Verwaltung auf dem Weg hin zu einer nachhaltigeren Ernährung gemacht für Mensch, Tier und Umwelt haben. Weitere Workshops mit weiteren Zielgruppen unter dem Motto „Good Governance für eine Ernährungswende“ sind geplant.
Workshop 2: Strategische Zusammenarbeit – Gemeinsam den Wandel des Lebensmittelsystems gestalten
Strategische Zusammenarbeit ist ein mögliches Instrument, um Systemdenken in effektive Zusammenarbeit und Maßnahmen umzusetzen. Wir verstehen strategische Zusammenarbeit als einen bewussten, kollektiven Ansatz zur Bewältigung öffentlicher Probleme oder Fragen durch den Aufbau gemeinsamen Wissens, die Entwicklung innovativer Lösungen und die Herbeiführung wirkungsvoller Veränderungen. Das Gegenteil von strategischer Zusammenarbeit kann als „isolierte“ Aktivitäten beschrieben werden.
Voraussetzungen und Grundsätze der strategischen Zusammenarbeit
Beatrice Walthall (ZALF) gab praktische Ratschläge für die erfolgreiche Umsetzung strategischer Zusammenarbeit, die auf der langjährigen Erfahrung von Norris-Tirell und Clay (2010:5) aufbauen. Strategische Zusammenarbeit ist nicht in jedem Fall sinnvoll. Die folgenden Voraussetzungen für eine strategische Zusammenarbeit sollten gegeben sein:
- legitimer und dringender Bedarf an Zusammenarbeit;
- ausreichend viele Akteure mit unterschiedlichen Problemlösungsperspektiven sind beteiligt;
- kompetente und engagierte Führung;
- Kompetenz für die Zusammenarbeit;
- die Wahrscheinlichkeit eines grundlegenden Wandels.
Nach Norris-Tirell und Clay sollten für eine erfolgreiche strategische Zusammenarbeit die folgenden Grundsätze bei der Umsetzung berücksichtigt werden:
- strategische Zusammenarbeit mit Bedacht wählen;
- den Lebenszyklus der strategischen Zusammenarbeit verstehen;
- Stärkung der Führung;
- transparentes Abwägen von Risiko und Nutzen;
- Ergebnisse und Auswirkungen betonen.
Beispiel 1: Sektorübergreifende Zusammenarbeit in Lejre (Dänemark)
Um die Teilnehmer zu inspirieren, stellte Tina Unger (Gemeinde Lejre) ihre Erfahrungen mit sektorübergreifender Zusammenarbeit vor. Sie bestätigte in ihrem Vortrag, dass viele Aspekte wie Lebensmittelproduktion, Unternehmensentwicklung, ländliche Entwicklung, Gesundheit und Umwelt miteinander verknüpft sind. In Lejre bestand das Ziel darin, kleinere Landwirte und Unternehmen zu unterstützen. Das Ergebnis war zum Beispiel eine eigene regionale „Lejre“-Milch (Arla) und ein kleines, neues Unternehmensnetzwerk. Außerdem gibt es in Lejre jetzt mehr Arbeitsplätze, mehr Unternehmer und mehr lebenswerte Dörfer. Die Menschen sind stolz darauf, dort zu leben, und sie haben ein Gefühl der Zugehörigkeit zu ihrem Wohnort entwickelt. Eine Zusammenarbeit zwischen der Gemeinde, Organic Denmark, lokalen Landwirten und Gastronomen führte zu besseren nationalen Lebensmittelvorschriften für Kleinbauern.
Wie wurde dies erreicht? Im Wesentlichen war die sektorübergreifende Zusammenarbeit wichtig, ebenso wie der Aufbau von Vertrauen zwischen den Beteiligten. Die Kommunikation und der Aufbau von Vertrauen sind eine große zeitliche Investition, die sich aber für weitere Ziele und Projekte auszahlt. Die Zusammenarbeit erfolgte sowohl „von oben nach unten“ als auch „von unten nach oben“ und ergänzte sich gut. Die Vision kam von der Gemeinde, aber die Bürger, Landwirte und lokalen Unternehmer unterstützten die Maßnahmen, entwickelten neue Projekte und organisierten sich selbst. Die Hauptaufgabe der öffentlichen Hand bestand in der Kommunikation, dem Aufbau von Netzwerken und dem „Steine aus dem Weg räumen“, z. B. im Rahmen der Gesetzgebung.
Beispiel 2: Strategische Zusammenarbeit in Oostende (Belgien)
Kathy Belpaeme von der Stadt Oostende gab ein Beispiel für die strategische Zusammenarbeit zwischen der Stadt und dem Tourismus- und Wirtschaftsverband und veranschaulichte, wie lokale Esskultur mit Nachhaltigkeit verbunden werden kann. Sie schlug zum Beispiel vor, dass bei den jährlichen Fischfesten für Einheimische und Touristen auch der heimische Fisch im Mittelpunkt stehen sollte. Der Tourismusverband griff diese Impulse auf und legte das Kriterium fest, dass an jedem Stand mindestens ein lokales Produkt angeboten werden sollte. Außerdem wird jetzt ein Krabbenfest organisiert, denn Krabbenkroketten sind ein zertifiziertes lokales Lebensmittel.
Ein belgischer Starkoch tritt zusätzlich als Botschafter für lokalen Fisch und nachhaltige Lebensmittel auf und wendet sich an Restaurantköche. Ein weiteres Beispiel ist die „Veggie Challenge“ für Restaurants. Ziel ist es, den Gästen eine vielfältige Auswahl an gesunden und nachhaltigen Gerichten anzubieten. Es wurde eine jährliche Kampagne ins Leben gerufen, die Restaurants zugute kommt, die vegetarische Menüs anbieten. Die Restaurants werden auf dem Social-Media-Kanal des Tourismusverbands vorgestellt, und es werden schicke Bilder von vegetarischen Menüs verschickt.
Mit ausreichendem Budget und Personal hat der Tourismusverband qualitative Aspekte wie Umwelt- und Ressourcenschutz und gesunde Ernährung mit denen des Genusses kommunikativ verbunden. Das steigerte einerseits den Markenwert der Stadt und brachte andererseits die Botschaften einer nachhaltigen Ernährung unter die Leute.
Kathy Belpaemes Ansatz zur Erreichung dieser Ziele beschreibt sie selbst als „Schritt für Schritt“, um Maßnahmen zur Transformation des Lebensmittelsystems in Oostende umzusetzen, ohne die Akteure, wie z.B. die lokalen Fischer und Restaurants, zu überfordern. Es ist wichtig, dass die Kooperationspartner die Prioritäten und Ziele aller Beteiligten kennen und sie einbeziehen, damit eine Win-Win-Situation entsteht.
Entwurf eines Szenarios für die strategische Zusammenarbeit
Nach den Inputs von Tina und Kathy wurden die Teilnehmer aktiv. Sie entwickelten zwei Ideen für Maßnahmen zur Transformation des Lebensmittelsystems und ordneten sie in den Lebenszyklus der strategischen Zusammenarbeit ein, wie er von Norris-Tirell und Clay (2010: 31) vorgestellt wurde. Die einzelnen Phasen des Lebenszyklus erleichtern die Formulierung von gezielten Maßnahmen:
- Stufe 1: Erkundung – Die Bereitschaft verschiedener möglicher Partner zur Zusammenarbeit wird erkundet.
- Stufe 2: Bildung – Erste Strukturen und Prozesse werden entwickelt.
- Stufe 3: Wachstum -. Die Teilnehmer erzielen einen Konsens über die Ziele und beginnen mit der Umsetzung.
- Stufe 4: Reifung – Idealer Zustand der Zusammenarbeit mit aktivem Engagement der Teilnehmer, verfügbaren Ressourcen und gemeinsamen Ergebnissen. Die Früchte der Zusammenarbeit werden geerntet und weitere Maßnahmen werden ergriffen.
- Stufe 5: (Erfolgreiches) Ende der Zusammenarbeit.
- Stufe 5b: Abnahme – In Stufe 4 wird festgestellt, dass das Ziel der Zusammenarbeit nicht erreicht werden kann. Entweder wird die Entscheidung getroffen, die Zusammenarbeit zu beenden (Stufe 5) oder die Zusammenarbeit zu erneuern (Stufe 5c).
- Stufe 5c: Erneuerung – Neuerfindung von Struktur, Prozessen und Ergebnissen mit dem Ziel, wieder zu einer gesunden Zusammenarbeit zurückzufinden.
Kernaussagen der Veranstaltung
- Eine strategische Zusammenarbeit lohnt sich nicht immer: Es ist zu prüfen, ob die Grundvoraussetzungen erfüllt sind (siehe oben). Je nach Problemstellung ist in manchen Fällen ein fokussierter Ansatz mit spezifischem Fachwissen sinnvoll.
- Viele Themen, wie z.B. Lebensmittelproduktion, ländliche Entwicklung, Gesundheit und Umwelt als Teilbereiche der Lebensmittelpolitik, sind miteinander verknüpft. Aus diesem Grund sollten sektorübergreifende Maßnahmen ergriffen werden.
- Es braucht Partner aus verschiedenen Sektoren, mit denen man sich in kleinen Schritten auf eine Transformation des Ernährungssystems zubewegen kann, ohne die Partner zu überfordern.
Es gilt aber auch, dass jeder für eine Ernährungswende „strategisch zusammenarbeiten“ kann, solange die Prinzipien erfüllt sind und die Voraussetzungen gegeben sind. Schauen Sie sich um, wer Sie in Ihrem Anliegen unterstützen kann und ob sich Win-Win-Situationen für alle ergeben. Denn die Entwicklung innovativer Lösungen und die Initiierung einer Ernährungswende kann nur gemeinsam gelingen.
Quelle: Norris-Tirell, Dorothy und Clay, Joy A. (2010): Strategic Collaboration in Public and Nonprofit Administration. A Practice-Based Approach to Solving Shared Problems. New York: Routledge.